GILBERT & GEORGE
THE GREAT EXHIBITION 2021
SCHIRN Kunsthalle Frankfurt
bis 5. September 2021
Unbezahlte Werbung

Frankfurt ist meine persönliche deutsche Lieblingsstadt – nach München selbstverständlich ;-).
Ein Besuch, der für mich in dieser Stadt nie fehlen darf, ist der in der SCHIRN. Eigentlich gibt es so gut wie keinen Zeitpunkt, an dem dort keine geniale, sehenswerte Ausstellung läuft.
Zudem sind die Räume wunderschön, wie Ihr auf den Fotos der Gilbert & George-Ausstellung eindrucksvoll sehen könnt.
WIR SIND NUR MENSCHLICHE BILDHAUER.
Gilbert & George 1970
Gilbert & George zählen heute unbestreitbar zu den bekanntesten Künstlern weltweit. Selbst Menschen, die sich kaum mit Kunst beschäftigen, kennen nicht selten die farbgewaltigen, großformatigen Bilder der beiden Engländer, die nun seit mehr als 50 Jahren das Londoner Leben in all seinen schönen und tragischen Facetten auf ihre ganz eigene, extrovertierte und einzigartige Weise portraitieren.
Die Motive der beiden stocksteifen „Briten“ (Gilbert wurde in Italien geboren), die sich, wenn sie sich nicht gerade nackt ablichten, in ihren „Verantwortlichkeitsanzügen“ (wie sie sie nennen) zeigen, strotzen von sexuell und politisch motivierten Inhalten. Ich war immer fasziniert von deren Werk, seit ich in den 80ern diese aussergewöhnlichen Bildwelten zum ersten Mal sah. Weiter beschäftigt oder mit den Hintergründen und Anliegen befasst, habe ich mich ehrlicherweise allerdings nie. Vordergründig bleiben einem einfach nur die stark sexuell geprägten Inhalte im Gedächtnis.
Eines vorweg: Wer extrem zart besaitet oder gar homophob veranlagt ist, wird an den Bildern der beiden, die selbst seit 1967 ein unzertrennliches Paar im Leben wie auch in der Kunst sind, keine große Freude haben. Gilbert & George gehen sehr offensichtlich und freizügig mit ihrer Sexualität um und machen vor keinem noch so homosexuell inspirierten Sujet halt.
Motive mit aussagekräftigen Titeln wie SPERM EATERS, BUM HOLES, BUGGERY FAITH oder SHIT FAITH sind zugegeben immer noch ein gewöhnungsbedürftiger Anblick.
Ich bin mir ziemlich sicher, es gibt auch heute noch Menschen, die sich vor diesen Bildern stehend, peinlich berührt fühlen, wenn sie beim Betrachten derselbigen von anderen beobachtet werden.
Es wäre allerdings wirklich unangebracht die Künstler ausschließlich auf diesen sexuellen Aspekt festzunageln. Gilbert und George sind schließlich Pioniere in vielerlei Hinsicht. Betrachtet man aber – um doch nochmal kurz bei den sexuellen, körperlichen Motiven zu verweilen – die wahre Intention der Künstler, erfährt man, dass Körperflüssigkeiten und Exkremente für Gilbert & George den direktesten Ausdruck unserer Sterblichkeit ermöglichen. Denn dies ist die tote Materie, die wir hinterlassen.
Mitte der 90er-Jahre rückten die Bilder ihrer nackten Körper und Körperflüssigkeiten in den Mittelpunkt ihres Schaffens. Aids überschwemmte die Welt in diesem Jahrzehnt mit einer neuen Prüderie, die sie mit der Darstellung ihrer eigenen Körper und deren Zurschaustellung ohne jegliche Scham, auf diese Weise ins künstlerische Visier nahmen. Ihre Nacktheit wird dabei noch erhöht durch die förmliche Haltung, die die sonst Anzug tragenden und betont gepflegt, traditionell englisch auftretenden Männer auch hierfür einnehmen.
Die Betrachtung der Menschheit an sich wird zum grundsätzlichen Thema der leuchtend bunten Panoramen von Gilbert & George. Dabei überlassen sie dem Betrachter die Beurteilung. Wie ein guter Therapeut stellen sie einfach nur die Frage in den Raum, um die Menschen ihre eigenen Antworten finden zu lassen.
Sie hinterfragen Glaubenssätze, Religionen, Fundamentalismus, Politik, Wirtschaft, Sexualität und wie wir mit Andersartigkeiten umgehen. Es sind die existenziellen Fragen der Menschheit, die mittels Einsatz all ihrer persönlichen körperlichen Mittel, in diesen Farb- und Darstellungsexplosionen auf uns einwirken. Die Farben werden dabei bewusst als symbolischer Bestandteil zur Untermalung des Inhaltes wirkungsvoll eingesetzt.