INSZENIERT!
Spektakel und Rollenspiel in der Gegenwartskunst
Kunsthalle München
19. August – 6. November 2016
WERBUNG UNBEZAHLT
Die Ausstellung Inszeniert! *klick der Kunsthalle München setzt die Gratwanderung zwischen Banalität und Faszination der Exponate zu diesem Motto gekonnt in Szene und regt unser Gehirn beim Betrachten des Spektakels dazu an, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen und sich selbst einige Fragen zu unserem Umgang mit den modernen Techniken der Selbstinszenierung in Zeiten von Photoshop & Schönheitschirurgie zu stellen.
Unsere Welt dreht sich doch heute immer öfter um den „Schein“, nicht mehr so sehr um unser wirklich gelebtes „Sein“. Auch ich als Blogger und Photoshop-Profi weiß, wie Aussenwahrnehmung und echtes Leben sich oft eklatant unterscheiden. Nicht alles was man sieht und jeder gerne nachleben möchte, entspricht unbedingt der Realität.
Dieser Gedanke, ist meiner Meinung nach, im Grunde auch der Aufhänger dieser Ausstellung in der Kunsthalle München, nur professioneller betitelt „Spektakel und Rollenspiel in der Gegenwartskunst“. Ich erkläre mir und Euch das jetzt einfach so, weil ich mir unter dem Titel anfangs eigentlich nicht viel vorstellen konnte.
Ist alles real oder schlüpfen wir zu gerne in Rollen, die wir im echten Leben garnicht einzunehmen vermögen?
Mir kam der Gedanke, dass wir dies früher nur durch Maske und Makeup erreichten – welche nicht das dauerhafte Anhalten dieses perfekt-inszenierten Zustandes vollbringen konnten – irgendwann schminkte sich jeder ab und sah im Spiegel in sein wahres Gesicht; heute ist die Perversion schon so weit fortgeschritten, dass sich die Menschen bei der neuen, selbstgewählten Erschaffung ihres Ich’s sogar chirurgisch nachhelfen und somit dauerhaft nach eigenem Gusto verändern lassen. Man denke an die Frauen, die sich chirurgisch über viele Jahre hinweg mit unzähligen Operationen in „Barbie“ verwandeln lassen. Aus einem Menschen das Abbild einer Plastikpuppe mit Extremmaßen zu zaubern – kann das tatsächlich die Intention unserer modernen, gebildeten Zeit sein?
Herausragende Künstler dieser Ausstellung waren in meinen Augen:
Matthew Barney
Der amerikanische Extrem-Medienkünstler Matthew Barney *klick fasziniert und stößt mich mit seinen irrealen-inszenierten Traum- und Alptraumwelten gleichzeitig ab. Mit seinem Cremaster-Zyklus schuf er ein Werk – bei dem man hin und hergerissen zwischen hinsehen und wegsehen – vollkommen gebannt ist von dessen farbgewaltiger Welt des Irrsinns.
Mit der Frage „Was hat der Künstler geraucht, um solche Bilder in seinem Kopf entstehen zu lassen?“ kommt man hier nicht weit, denn sein Werk geht weit darüber hinaus. Besser wäre zu fragen „In welcher Anstalt kann man den Künstler besuchen?“ Ich sitze natürlich mit einem Grinsen da, während ich dies schreibe. Denn was kann man besseres aus solchen irrwitzigen Fantasien zaubern als Kunst? Der eine lässt sich damit sorgvoll auf des Therapeuten Couch nieder, der andere wird ein weltberühmter, gefeierter Medienstar.
Mit einem Muskel, der im deutschen „Hodenheber“ (Musculus Cremaster) heißt und der sich in der Entwicklung des männlichen Fötus aus geschlechtlich undifferenziertem Gewebe entwickelt, beschäftigt sich wohl auch nicht so leicht ein jeder. Seine Faszination dieses kurzfristigen Ur-Zustandes der Unbestimmtheit lies den Cremaster-Zyklus entstehen und uns jetzt staunend in der Kunsthalle vor den Monitoren stehen. Was er uns damit sagen möchte, bleibt für mich in seinem Kopf verborgen und lässt mich zurück in einer seltsamen, kranken Faszination dessen, was dort zu sehen ist.
Am „Nettesten“ anzusehen ist wohl ein Teil aus Cremaster 5, in dem Matthew Barney als Wassermann-ähnliches Wesen, in einem Wasserbassin stehend, sein Genital oder was auch immer das sein mag – von asiatisch aussehenden Wassernixen unter Wasser beäugt und belustigt abgenickt – von an Bändern flatternden weißen Tauben „anheben“ lässt und uns somit wohl seinen „Hodenheber“ zum Besten gibt.
Seine Kunst ist bunt, schrill, bildgewaltig, opulent, banal, schauerlich-schön, faszinierend, abstoßend … doch was so viele Gefühle in einem hervorzurufen vermag und schnell die Frage aufkommen lässt, ob man selbst ein wenig abartig ist, eine Faszination beim Ansehen dieser Filme zu verspüren, hat für mich dann doch das Format eines brillianten Gesamt-Kunstwerks.
Genial: Gillian Wearing
Wirklich genial waren für mich die drei den Blick fesselnden Bilder von Gillian Wearing. Die britische Fotografie- und Videokünstlerin zieht uns mit ihren – durch Masken blickende – Augen, in den Bann. Die Augen sind Spiegel unserer Seele. Interessant fand ich auch den Gedankengang, der mir beim Anblick des Kinderbildnisses kam: Egal wie alt wir werden, unsere Augen bleiben die eines Kindes – denn man sieht nicht, dass die Augen der Künstlerin die eines Erwachsenen sind, wenn wir das Kinder-Maskengesicht mit betrachten.
Cardiff & Miller: Unbedingt reinsetzen!
Was ich Euch wirklich ans Herz legen möchte: Geht nicht daran vorbei, sondern schaut auf die Uhr und setzt Euch in den halbstündlich laufenden Film von Cardiff & Miller, welche zurecht mit ihren Audio- und Multimedia-Installationen in den letzten 20 Jahren bekannt wurden. In dem Holzaufbau befindet sich die Nachbildung eines mit roten Sesseln ausgestatteten Kinosaals der 30er Jahre mit Blick auf ein Kino im Spielzeugformat. Der Besucher setzt sich den Kopfhörer auf, der unter seinem Sitz angebracht wurde (Vorsicht, nicht über die Kabel stolpern) und befindet sich augenblicklich in einem realen großen Kinosaal. Man sieht einen sehr merkwürdigen ca. viertelstündigen schwarz-weiß Film über einen Mann in einem Hospital, welcher in irgendeiner Weise als Kriegsgefangener und Versuchskaninchen für eine OP herhalten soll, welche die – in ihn verliebte – Schwester mit ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern versucht. Das tolle daran ist aber nicht dieser Film, sondern der Ton zum Film, welcher uns den Film hören lässt und zugleich die Menschen, die vermeintlich neben einem im Kino sitzen. Und das ist so täuschend echt, dass ich ein paarmal irritiert zu meinen beiden Sitznachbarn blickte, weil ich dachte, die Geräusche kämen von dort. Eine Frau flüsterte: Ich habe vielleicht vergessen daheim den Herd auszumachen … das kannte ich nur zu gut und musste grinsend schmunzeln.
Eine Frage, die mich allerdings beschäftigt:
Verstörende Szenen für Kinder genug gekennzeichnet?
Sehr kritisch empfinde ich die Aufschrift beim Betreten der Ausstellungsräume mit dem Hinweis: Die Filme von Matthew Barney und Ulrike Ottinger enthalten Szenen, die Kinder verstören könnten. Ulrike Ottinger läuft in einem separatem Kinoraum, von dem ich mein Kind gut fernhalten kann, wenn ich mich kurz erkundige und lesen kann; Matthew Barney hingegen füllt einen ganzen Ausstellungsraum mit mehreren Monitoren auf denen verschiedene seiner mehr oder weniger verstörenden Filme laufen.
Ich weiß nicht, ob Kinder heute abgebrühter sind als ich damals, aber ich hätte nicht plötzlich sehen wollen, wie ein Mann mit blutig verklebten Augen, in eine Tankstelle geht und dem Besitzer mit einem Kopfschuss blutspritzend in Nahaufnahme das Leben nimmt (Cremaster 2). Sind wir schon so abgestumpft, dass wir Kindern meinen so etwas zumuten zu können?
Das Beruhigende daran ist, dass Matthew Barney sich in seiner Video-Kunst mit seinen Obsessionen auseinandersetzt und nicht in unserer realen Welt.
Fazit der Ausstellung:
Das Tolle ist, dass diese Ausstellung mich vor viele ungelöste Fragen stellt, die ich gerne beantwortet haben möchte und so schafft es die Kunsthalle mich mehr als einmal dort begrüßen zu dürfen. Das nächste Mal werde ich mir Inszeniert! mit einer Führung ansehen und vielleicht dann die gewünschten Antworten erhalten. Und ausserdem gibt es ja noch die Möglichkeit sich mit Kopfhörern durch die Ausstellung geleiten zu lassen – was ich Euch diesmal sehr empfehlen würde. Sollte ich Wissenswertes erfahren, was meine Meinung teilweise vielleicht ändert oder die Kunstwerke in ein anderes Licht rückt, werde ich das in einem Nachtrag hier noch erwähnen.
Deshalb vielen Dank an die Kunsthalle München *klick und die Sammlung Goetz *klick für die tolle „Kunsthalle München“-würdige Ausstellung!
Die offiziellen Hashtags zu dieser Ausstellung unter welchen Ihr Eure Fotos in den sozialen Netzwerken teilen könnt sind: #KunsthalleMuc #inszeniert #SammlungGoetz